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Ein Fußball für Socke

Michael Schmidt, 03.11.2007

Ein Fußball für Socke

An Vorbestimmung glaubt er nicht, ebenso wenig an Fügung. Dass das Schicksal mitunter aber rücksichtslos zuschlagen kann, weiß Steve Voigt nur zu genau.


ERFURT/NORDHAUSEN. "Es hätte schlimmer kommen können." Jenen Satz hat der 26-Jährige in den vergangenen zwei Monaten ebenso oft gehört wie den auf dem Werder-Trikot, das an der Wandlampe hängt. "Verliere nicht den Glauben", spricht Nationalspieler Clemens Fritz seinem früheren Klubkameraden während der Nachwuchszeit beim FC Rot-Weiß Mut zu und einigen Gebeseer Fußballern aus der Seele.Von ihnen hat er das Dress mit der Widmung des Nationalspielers bekommen. Ihre Besuche, ihre aufmunternden Worte geben Kraft und sorgen mit dafür, dass sich der Teamgefährte geborgen fühlt. Selbst mehr als 70 Kilometer entfernt - im Nordhäuser Krankenhaus. Die Ungewissheit quält dennoch.Wird der Arm wieder? Wächst der Knochen im Bein zusammen? Wie geht es überhaupt weiter? Studium, Arbeit, Leben? Warum gerade ich?Schon sehr oft hat sich das Steve Voigt gefragt. Er, der gern alles genau plant und mit dem Studium in der Tasche neugierig die Welt entdecken wollte. Doch statt der Gastfamilie in ihrer Ferienanlage zu helfen und dort gleichsam die norwegischen Berge zu erkunden, bleibt dem Informatikstudenten derzeit nur der Blick auf die farbenfroh eingetauchten Höhenzüge des Harzes.Nun schon 13 Wochen schaut er von der siebten Etage darauf und kennt "jedes Blatt", seit eine Fahrradtour mit den Gebeseer Teamgefährten des Voigts Leben in eine andere Richtung gelenkt hat. An den letzten Halt der 25-köpfigen Truppe vor dem nahenden Ziel Kelbra erinnert er sich. Aber nicht mehr an jenen schicksalsschweren Moment, in dem der frühere Stürmer in der Spitzengruppe mit einem entgegenkommenden Auto zusammengeprallt ist. Noch ansprechbar soll er gewesen sein, nachdem ihn die Wucht des Aufpralls einige Meter weit geschleudert hat. Er weiß nur, wie er einige Tage später nach dem 4. August in bangend erleichterte Gesichter der Mutter, Freunde und Schwestern gesehen hat. Sichtlich froh, dass "Socke" aus dem Koma erwacht und das Gröbste überstanden ist.Im Bewusstsein der Folgen, die all seine Pläne über den Haufen geworfen haben, hat er anfangs auch manch´ Träne vergossen. Beinahe jeden zweiten Tag ist er operiert worden. Inzwischen fast 20-mal. Obendrein kennt der "Dienstälteste" der Station 7A, wie Voigt vom Mitpatienten inzwischen genannt wird, nahezu alle Zimmer. An den Oberkiefer-, Becken- und Rippenbruch erinnern noch kleine Narben. Andere Wunden verheilen vielleicht nie.Damit er den linken Arm wenigstens irgendwann bewegen kann, kämpfen nächste Woche Spezialisten der Uni-Klinik Dresden. "Die Ärzte sagen einem ja nie alles, weil sie keine zu hohen Erwartungen wecken wollen", denkt Steve Voigt. Er ist eher Realist denn Träumer. Die Hoffnung, dass die abgerissen Nervenenden wieder mit dem Rückenmark verbunden werden können, will er trotzdem genauso wenig begraben, wie die, fest auf eigenen Füßen stehen zu können. Vor allem auch auf dem Linken, dessen Zehen in Lederschlaufen wippen. Unbewusst. Er wünschte sich, jenes Kribbeln auch in der linken Hand zu spüren, die er immer wieder sanft in den Schoß legt. Der zertrümmerte Unterschenkel, den ein Metallgestänge hält, wird dagegen nachwachsen. Wenn auch allmählich in den nächsten fünf Monaten, in denen er dann wohl auch den siebten Harry-Potter-Band locker gelesen hat. Aber immerhin wird "Socke" wieder laufen können, sagen ihm die Mediziner. Das Wie beschäftigt den früheren Angreifer trotzdem. Wie einst in den zwölf Jahren beim FC Rot-Weiß wird der Rechtsschütze jedenfalls nicht mehr vor den Ball treten können. Dass seine Fußballer-Laufbahn beendet ist, weiß er allerdings schon seit zwei Jahren. Nachdem Voigt einmal bewusstlos geworden ist, haben Kardiologen wegen nächtlichen Aussetzern des Herzes einen Schrittmacher für nötig erachtet.Die Gebeseer Fußball-Gemeinschaft hat ihm damals bereits Kraft gegeben. Dieselben Freunde sind auch jetzt für den 26-Jährigen da und helfen. Die bereits wegen des anstehenden Norwegen-Trips gekündigte Erfurter Wohnung haben sie in Windeseile geräumt und gemalert. Die eine noch ausstehende Arbeit, um das Informatikstudium an der Fachhochschule abzuschließen, können sie freilich nicht fertigschreiben. Aber sie greifen ihrem Kumpel, wo es geht, unter die Arme, auch finanziell.Bei 110 Euro liegt das Gebot für ein Nationaltrikot von Clemens Fritz, bei 100 für das von Per Mertesacker. Beide stehen bis zum 30. November in Zusammenarbeit mit dem Thüringer Fußballverband zur Versteigerung. Zudem haben seine Freunde wie Matthias Preuße, Sandro Wäldchen, Florian Geier oder Michael Mähler über das Studentenportal (www.studivz.de) die Aktion "Ein Fußball für Socke" ins Leben gerufen und hoffen auch dort auf Spenden. Die kann Steve Voigt gut gebrauchen. Auch wenn er wohl in naher Zukunft das Krankenzimmer 715 räumen wird, für sich selbst sorgen kann er so schnell nicht.Ob er einmal ganz ohne fremde Hilfe auskommt? Seine Freunde wünschen es ihm von Herzen. "Für dich wäre es vielleicht einfacher gewesen, hättest du die Augen nicht wieder aufgemacht", hat Steve Voigt zu sich selbst gesagt, während manch Jugendtraum in unerreichbare Ferne rückte. "Aber für das Umfeld wäre es viel schlimmer", weiß er. Besonders, wenn er an die vielen Karten oder Wünsche denkt. Und an die beiden kleinen Schutzengel. Seine Freunde haben sie ihm auf der Intensivstation ans Bett geklebt. "Wenn ich sehe, wie sich alle kümmern und drehen, kann ich mich doch nicht hängen lassen", meint Socke voller Hoffnung und Vorfreude, mit ihnen irgendwann durch Erfurts Innenstadt zu ziehen. So wie einst. Er lacht.Spendenkonto: Sparkasse Mittelthüringen, Konto-Nr.: 300 11 680 63, Verwendungszweck: Steve.; Versteigerung der Trikots unter: www.tfv-erfurt.de

Quelle:TA Lokalteil Erfurt, Samstag 03.11.2007